16. Oktober, Von weltlichen Dingen eingeholt
Unser letzter Tag. Wir sitzen im Nieselregen im feuchtkalten Sand und malen das nebelige Meer. Die Bilder geraten ein paar mal gut, werden aber immer wieder abgespült, da ist aus Niesel Regen geworden. Bald hält garkeine Farbe mehr, Papiere unter Wasser.
Nagut, wieder nach Vitte in ein Lokal. Viola nimmt Lachs auf Kartoffelpuffer, ich gebackenen Feta mit Sanddorn-Gelee. Das Essen kommt so schnell wie ich vom Klo noch nicht zurück bin, und ebenso schnell wird abgeräumt: Mit dem letzten Bissen kaum im Mund, sehe ich überrascht, wie mir der Teller weg gezogen wird: „Hat's geschmeckt?“ Ich nicke kauend. „Wir würden dann jetzt die Rechnung machen, wir schließen gleich.“ - „Oh, mitten am Tag?“ - Ich schlucke schnell runter, zeige verwirrt auf meine volle Tasse Tee, ob ich die noch trinken dürfe. „Wie gesagt, wir schließen gleich.“ - „Das wusste ich nicht, dann würde ich also nur fürs Essen zahlen.“ - „Sie haben den Tee bestellt, da werden wir ihn ganz normal abrechnen.“ - „Aber ich darf ihn nicht mehr trinken?“ - „Dafür war genug Zeit, das hätte man durchaus schaffen können. Das wäre möglich gewesen.“ - Viola hat's tatsächlich geschafft. „Ich werde nur fürs Essen zahlen!“ - „Wenn das so ist, muss ich den Chef holen.“ Sie holt den Chef und lässt mich ihm das erklären. Woanders ist der Gast König, hier der Chef, und er besteht darauf, dass, wer sein Haus betritt, die Öffnungszeiten draußen lesen muss, und sei es auf der Flucht vor strömendem Regen. Ich zahle also, spare das aber am Trinkgeld wieder ein. Ich bekomme den Tee im Pappbecher, Tee „to go“. Draußen nieselt es nur noch leicht, und als Tee in Hiddenseer Landschaft so schön ist, hätt' ich's mir mit Trinkgeld noch mal überlegt. Wer trinkt eigentlich fürs Trinkgeld? Dass der Kellner was zu trinken hat, oder der Gast im Gehen?
Wir nehmen schon Abschied von der Insel. Im Regen mit Malen nichts zu machen. Wir statten dem Heimatkunde-Museum einen Besuch ab. Schöne Gemälde und Grafiken von der Künstlerkolonie! Wie viele bedeutende Künstler hier waren! Was für eine Bernsteinausstellung! Und eine Replik des slawischen Goldschatzes. Leider kann man nichts lesen: Ein Elternpaar lässt seine Kinder in den empfindlichen, dumpfen Räumen poltern und schreien. Alles, was sie sagen möchten, schreien sie.
Zu Hause packen wir die Sachen. Das Hündchen in seinem Bettchen schnarcht, man meint, es wäre eine Dogge. Es klopft an der Tür, heute morgen um sieben Uhr nochwas hat schon einmal jemand geklopft. Es ist die Vermieterin, verärgert, und schimpft. Hätten wir gewusst, dass es von Wichtigkeit ist, ich hätt's schon vor Tagen geschrieben:
Stand nämlich ein Tablett hochkant zwischen Mikrowelle und Wand auf dem Kühlschrank, in der Ritze ziemlich versteckt. Es ist, wahrscheinlich aus Protest darüber, dass wir's nie entdecken, durch irgendeine Vibration am Kühlschrank ins Rutschen geraten und im schmalen Spalt zwischen Wand und Kühlschrank auf den Boden gescheppert. Wir suchten, was los ist, da sahen wir's das erste mal, im Spalt, und machten Bekanntschaft mit ihm, wie es zerbrochen ist, im Hochkant-Fallen quer einmal durch. Auf seiner Rückseite steht mit Edding, man solle vorsichtig damit umgehen, Tablett des Hauses. Auch das noch! - Ordentlich im Müll entsorgt, jetzt steht die Frau vor uns, Oldenburger Dialekt, so schlimm schimpfend, dass wir keine Lücke finden, uns zu entschuldigen. Das Tablett sei ihr sehr teuer, extra in Italien erworben, wir hätten es runtergefeuert, ob wir versichert wären. - Wir staunen, das Stück sieht aus wie vom Sonderangebot im Penny, so kann man sich irren. Eine Perle zwischen den maroden Presspapp-Möbeln, die krummen Stelz-Sessel knarren, wenn man nur den Kopf bewegt, und kippen gefährlich, weil unten Schrauben fehlen, eine drehe ich ständig rein, da liegt sie bald wieder auf dem Laminat. Wie teuer ist denn das Tablett? - 26 Euro. Da sind wir aber froh, wir dachten schon, aufgeregt wie die Frau vor uns steht, sie will 200!